Papierschiffchen aus Zeitungspapier

Professioneller Journalismus? Kannste knicken!

Die meisten Menschen denken an Wohltätigkeit, wenn sie von einer “Stiftung” lesen. Dabei dienen Stiftungen überwiegend zwei Zwecken: Steuerersparnis und Lobbyismus. Es gibt zwar auch wohltätige Organisationen, die sich diese Vorteile zu nutze machen. Aber den meisten Stiftungsgründern geht es lediglich darum, mehr Geld oder Macht anzuhäufen. Das nicht zu wissen, ist kein Problem. Stiftungsrecht gehört nicht unbedingt zum Allgemeinwissen. Es gibt jedoch eine Berufsgruppe, die sollte wissen, wofür Stiftungen benutzt werden und wissen, was keine “Stiftung” ist: Journalisten.

Anfang dieses Monats sind erschreckend viele Journalisten genau an dieser Frage gescheitert und ich musste viele Fehlinformationen in der Profi-Presse lesen – und zwar leider über das ganze Pressespektrum hinweg. Die Top-Schlagzeile des Tages war:

Facebookgründer Mark Zuckerberg spendet 45 Milliarden Dollar an eine Stiftung für wohltätige Zwecke.

So hab ich es gelesen – und so haben es sich die meisten von euch vermutlich gemerkt. An dieser Schlagzeile ist leider alles falsch.

  1. Das geringste ist noch, das Zuckerberg nur einer der Gründer von Facebook ist. Könnte man zur Not zwar durchgehen lassen, aber: Exakt und aktuell relevant, wäre ihn als “Vorstandsvorsitzender von Facebook Inc.” zu bezeichnen. Diese minimale Ungenauigkeit sei im folgenden aber gar nicht weiter betrachtet.
  2. Es geht nicht um 45 Milliarden Dollar, sondern um 99% seiner Facebook Aktien. Die sind im Augenblick zwar rein theoretisch so viel wert (mit dem aktuellen Börsenkurs bewertet). Aber wenn er nur anfangen würde, einige davon zu verkaufen, würde der Kurs sinken. Weil das Angebot steigt. Aber vermutlich noch mehr, weil der Aktienmarkt das vermutlich als Ausstieg Zuckerbergs aus Facebook verstehen würde. Und auch andere anfangen würden, ihre Aktien zu verkaufen. Dazu kommt: Die zukünftige Kursentwicklung ist völlig offen ist. Das ist wichtig, denn:
  3. Er verkauft die Aktien gar nicht jetzt, sondern “im Laufe seines Lebens”. Also irgendwann.
  4. Er spendet das Geld auch nicht, sondern überträgt es an die Chan-Zuckerberg Initiative, die er selbst gründet und vollständig kontrolliert. Das ist so, als wenn ich Geld von einem Konto von mir auf ein anderes Konto von mir überweise.
  5. Es gibt keinerlei Garantie, dass das Geld tatsächlich für wohltätige Zwecke verwendet wird. Zuckerbergs blumige Erklärung klingt mehr nach Lobbyismus für eine bestimmte technokratische Weltanschauung. Mit dem Versprechen, dass dadurch die Welt besser würde.
  6. Die Chan Zuckerberg Initiative ist nicht als Stiftung gegründet worden, sondern als “Limited Liability Company” (LLC). LLC ist in den USA eine Unternehmensform, die am ehesten der deutschen GmbH ähnelt. Wichtig: Das ist erst mal kein wohltätiger Club, sondern ein handfestes, profitorientiertes Unternehmen (1). Was nicht ausschließest, das sie gemeinnützig tätig wird, es aber keinesfalls bedeutet. Die Behauptung, es handle sich um eine Stiftung,  entbehrt jeder Grundlage. muss sich ein Journalist einfach ausgedacht haben – und alle anderen haben es unhinterfragt abgeschrieben.

Leider gibt es nicht ein einziges deutsches Leitmedium, dass alle diese Fakten richtig dargestellt hat. Kein Einziges!

Anja Ettel und Holger Zschäpitz liefern in Springers “Welt” den peinlichsten Artikel, der nicht nur wirklich alle o.g. Fakten falsch hat, sondern auch ziemlich unkritisch die angebliche Selbstlosigkeit Zuckerbergs preisen und fragen, warum es in Deutschland keine solchen “Gönner” gibt – von der (umstrittenen) Bertelsmann-Stiftung haben sie scheinbar nie gehört (2).

Die möchtegern Wirtschafts-Zeitung “Focus Money” hinterfragt zwar kritisch die Motivation Zuckerbergs. Die Redaktion füttert mit den falschen Fakten aber sogar einen Fachanwalt für Steuerrecht, zu dem Ergebnis kommt: “Das ändert aber nichts daran, dass das Geld für Zuckerberg weg ist”. Geld, das einmal in eine Stiftung geflossen ist, könne nicht rücktransferiert werden (3). Tja, wenn es denn eine Stiftung wäre. Geld aus einer LLC kann sich Zuckerberg natürlich nicht nur jederzeit zurückholen, sondern er kann auch noch zusätzlich Gewinn damit machen – während er bei Facebook ja nur Teilaktionär ist. Soviel zu “Fakten, Fakten, Fakten”.

Genauso schlecht stehen Spiegel (4) und Zeit (5,6) da: Sie hinterfragen zwar ebenfalls kritisch die Motivation Zuckerbergs, aber nicht die abgeschrieben Fakten.

Etwas mehr Mühe haben sich Süddeutsche Zeitung (7), F.A.Z.(8) und Handelsblatt (9) gegeben. Sie haben zumindest herausbekommen, dass Zuckerberg eine LLC gründet. Dass sie trotzdem fleißig die Falschinformation von “Spende” und “Stiftung” wiederholen, kann eigentlich nur bedeuten, dass diese Qualitätsmedien nicht verstehen, was eine LLC ist.

Ich habe nur eine einzige Veröffentlichung gefunden, die alle wichtigen Fakten richtig darstellt: Im berühmten und bekannten Web-Portal Finanzen 100. Schon mal davon gehört? Ich vorher nicht.

Christoph Sackmann schreibt hier schon in der Überschrift seines Artikels völlig korrekt, dass Zuckerberg “nicht spendet” und analysiert im Artikel sehr treffend und fachkundig, was dahinter steckt. Lediglich seine abschließende Bewertung “am Ende geben Priscilla Chan und Mark Zuckerberg eine Menge Geld für einen guten Zweck” halte ich für etwas naiv. Doch das ist völlig OK. Denn ich will als Leser lieber die Fakten korrekt und eine Kommentierung, die ich nicht teile, als andersherum.

Was letztlich übrig bleibt, wenn man nur die Fakten berücksichtigt:

Mark Zuckerberg will sein Vermögen schrittweise aus der Aktiengesellschaft Facebook zurückziehen und auf eine nur von ihm und seiner Frau kontrollierte GmbH übertragen.

Warum er die Wohltätigkeitsstory drumherum strickt, ist damit dann auch klar. Alles andere würde der Aktienmarkt als seinen Abschied von Facebook  interpretieren. Was es wohl exakt bedeutet. Wer Facebook Aktien hat, sollte vielleicht jetzt anfangen, sie zu verkaufen.

Wir sind darauf angewiesen, das uns Journalisten den Unterschied zwischen Marketing, Propaganda usw. und den wirtschaftlichen und politischen Realitäten aufzeigen. Dafür werden sie ausgebildet und dafür bezahlen wir sie  – entweder dadurch, das wir Werbung ertragen oder sogar direkt für ihre Publikationen bezahlen. Und dadurch – so behaupten sie jedenfalls ständig – unterscheiden sie sich von Amateuren wie uns Freizeit-Bloggern. Leider versagen diese Profis erschreckend oft (siehe auch hier).

Anfänger-Fehler von Social Media Nutzern - und deutschen Qualitätsmedien

Anfänger-Fehler von Social Media Nutzern – und deutschen “Qualitätsmedien”

Ist es nun so schwierig, Journalismus professionell zu betreiben? Nein, dazu würde nur folgendes gehören:

  • Wenigstens die Originalquelle lesen und verstehen (vor allem auch das, was nicht drin steht)
  • Unbekannte Fachbegriffe wie “Stiftung” und “Limited Liability Company” wenigstens mal bei Wikipedia nachschlagen
  • Sprachlich halbwegs präzise arbeiten – z.B. “etwas tun” und “etwas versprechen” sowie “spenden” und “übertragen” sauber auseinander halten
  • Dafür sorgen, dass der Chef vom Dienst (meist ein erfahrener Journalist) zumindest einen kritischen Blick drauf wirft, ob Überschriften und Vorspann auch inhaltlich zu den Texte passen und überfliegen keine so offensichtlichen Fehler drin stehen.
  • Wenn Texte auch online veröffentlicht werden, solche krassen Fehler hinterher wenigsten berichtigen, statt sie mit jedem Aufruf weiter zu verbreiten. Die Texte sind Anfang Dezember erschienen – zwei Wochen später stehen sie immer noch so im Web. Es kann doch nicht sein, dass ich der Einzige bin, dem das aufgefallen ist.

So viel Zeit, dass nicht wenigstens dass möglich wäre, kann das nicht kosten. Und falls doch – dann habe ich lieber weniger Informationen, als solche Falschmeldungen.

Update 14.12.2015: Korrektur der Aussage unter 6.

Noch so ein Beispiel:  Bildblog: Erschreckend: Nur jeder 50. Journalist erledigt seinen Job

 

Update 18.12.2015:  Thomas Piketty äußert sich im Interview über Zuckerberg (ca. min 9-13)

 

Siehe auch: Weitere Einträge in der Rubrik Journalismus

Die Welt: Wie man aus heißer Luft eine Story für den rechten Zeitgeist macht

ein furchtbares Beispiel, wie sich die Bild-Hetze im Alltag n Deutschland auswirkt

Kritik an der Kritik an der Ideologie vom totalen Buchmarkt

Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt

 Medienkompetenz 101

Plädoyer für die Einführung von “Medienkunde” in allen Alterstufen und Schulformen

 

 

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