Informationsfreiheitssatzung - geschlossen“Informationsfreiheitssatzung” ist ein schönes Wort. Da steckt Technik drin, da steckt eine große politische Vision drin und da steckt solide deutsche Verwaltung drin. Eine geniale Mischung. Ich mag aber nicht nur das Wort, ich mag auch den Inhalt.

Informationsfreiheit, auch Informationszugangsfreiheit, Informationstransparenz, englisch Freedom of Information (FOI) ist ein Bürgerrecht zur öffentlichen Einsicht in Dokumente und Akten der öffentlichen Verwaltung. In diesem Rahmen können z. B. Ämter und Behörden verpflichtet werden, ihre Akten und Vorgänge zu veröffentlichen (Öffentlichkeitsprinzip) bzw. für Bürger zugänglich zu gestalten (Verwaltungstransparenz) und zu diesem Zweck verbindliche Qualitätsstandards für den Zugang zu definieren.

Quelle: Wikipedia

Dieses Recht ist auf Bundesebene umgesetzt im Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (umgangssprachlich auch: Informationsfreiheitsgesetz, IFG). Bisher haben elf Bundesländer für ihren Zuständigkeitsbereich jeweils eigene ähnliche Gesetze erlassen. In Hessen, ebenso wie in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Sachsen existiert hingegen (noch) kein Landes-Informationsfreiheitsgesetz.

Für den normalen Menschen sind diese Gesetze auf Bundes- oder Landesebene eher selten relevant. Auf kommunaler Ebene hingegen hat eine solche Regelung (die hier Satzung heißen muss, weil Kommunen keine Gesetze verabschieden) für deutlich mehr Menschen eine praktische Relevanz.

Ich finde eine solche Satzung wichtig, weil sie einen wichtigen Schritt vom Obrigkeitsprinzip (die Verwaltung entscheidet, was die BürgerInnen wissen dürfen) hin zu einer demokratischen Kommune (in der Bürger definierte Informationsrechte haben) bedeutet. Grundsätzlich war der Rat der Stadt Darmstadt auch bereit, diesen Schritt zu gehen. Auf Antrag der Fraktion der Piraten beschloss man 2014, eine solche Satzung zu prüfen.

Ergebnis: Die Verwaltung empfahl dem Rat, mit einer solchen Satzung zu warten, bis der hessische Landtag ein entsprechendes Landesgesetz beschlossen habe. Denn im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen sei vereinbart, ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.

Damit war man bei den Darmstädter Piraten jedoch nicht zufrieden. Anfang September stellen sie im Rat den Antrag, eine von ihnen entworfene Informationsfreiheitssatzung zu verabschieden.

Grundsätzlich unterstütze ich dieses Anliegen, da

  • Eine gute Darmstädter Informationsfreiheitssatzung ein Maßstab für das Landesgesetz werden könnten, hinter dass die hessische Regierung nur schwerlich hätte zurückfallen können
  • Die Umsetzung auf Landesebene vermutlich erst nach den Kommunalwahlen 2016 erfolgen wird und ob dann in Darmstadt noch politische Mehrheiten für ein solches Bürgerrecht bestehen, könnte fraglich sein. Einer Koalition von CDU und SPD traue ich zum Beispiel zu, ein solches Recht für entbehrlich zu halten (sie können mich gern eines Besseren belehren).

Der Antrag der Piraten wurde im Stadtrat jedoch mit großer Mehrheit (u.a. auch von der Oppositionsfraktion Uffbasse) abgelehnt. Lag es daran, dass (wie die Piraten in ihrer – unnötig reißerischen – Pressemitteilung behaupten) die Ratsmehrheit eine Informationsfreiheitssatzung ablehnt? Oder war einfach der Antrag der Piraten nur nicht mehrheitsfähig?

Ich habe mir den Entwurf der Piraten (Vorlage 2015-08-28_Nr_SV-2015_0025) einmal angesehen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich dieser Satzung meine Zustimmung hätte verweigern müssen (wenn ich denn im Rat sitzen würde).

Hier die zwei wichtigsten Gründe:

1.) Im Antrag heißt es:

„Jede natürliche und juristische Person hat Anspruch auf….“

Ich sehe kein Grund warum juristischen Personen ein solches Recht erhalten sollten.

Jede juristische Person kann über eine natürliche Person die entsprechenden Informationen erhalten. Indem jedoch juristischen Personen dieses Recht eingeräumt wird, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Bürgerinnen und Unternehmen und Interessengruppen. Letztere können die Arbeit der Antragsstellung an Anwälte, Subunternehmen etc. delegieren, die dabei entstehenden  Kosten als Betriebsausgaben (zu Lasten der Bürger als Steuerzahler) von der Steuer absetzen und zudem die Identität des Anfragenden verschleiern. Juristische Personen könnten so sogar theoretisch mit systematischen Anfragen die Arbeit der Stadtverwaltung blockieren oder zumindest stark beeinträchtigen. Die Satzung würde ihnen ein einklagbares Recht dazu einräumen.

Ich befürchte, das mit diesem Recht sich das bestehende Informationsungleichgewicht zwischen Bürgern und Unternehmen weiter zu Ungunsten der Bürger verschiebt. Zu Zwecken der Bürgerbeteiligung ist ein Informationsrecht für juristische Personen schon gar nicht notwendig.

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und das Recht auch bei den natürlichen Personen einschränken. In der gewählten Form hätte jeder US-Amerikaner, jeder Russe, jeder Chinese und auch jeder Offenbacher – unabhängig davon, ob sie in Darmstadt wohnen oder nicht – die Möglichkeit, solche Anfragen zu stellen. Das halte ich weder für notwendig noch für sinnvoll. Ich halte es im Gegenteil für hilfreich, dieses Recht auf mit Erstwohnsitz in Darmstadt gemeldete natürliche Personen zu beschränken.

Es spricht nichts dagegen, dass die Verwaltung Informationen auch anderen Menschen als den BürgerInnen Darmstadts herausgibt. Gar nichts. Ein Anrecht darauf würde ich jedoch nur denen einräumen, die ihren Lebensschwerpunkt in der Stadt haben. Auch, weil sich erfahrungsgemäß selten alle Aufwände tatsächlich angemessen über Gebühren weiterreichen lassen.

 

2.) Im Antrag heißt es:

„Wenn für Amtshandlungen nach dieser Satzung Kosten entstehen, weist die Stadt die antragstellende Person rechtzeitig auf deren voraussichtliche Höhe hin.“

Hier wird mit „rechtzeitig“ ein undefinierter Rechtbegriff verwendet, der a) Unsicherheit bei den BürgerInnen schafft und b) im Konfliktfall nicht unerhebliche juristische Auseinandersetzungen zur Folge haben kann – insbesondere, weil es hier ums liebe Geld geht.

Nach der Gebührenordnung – auf die im Antrag verwiesen wird – entstehen auch Gebühren, wenn ein entsprechender Antrag zurückgezogen wird, die Verwaltung allerdings mit der Bearbeitung bereits begonnen hat (bis zu 50% der Gebühren).

Rechtzeitig“ ohne jeden Maßstab lässt völlig offen, ob und wie lange ich Zeit habe, um einen Antrag zurück zu ziehen, ohne dass mir Kosten entstehen, da ich von den Kosten erst nach Hinweis durch die Stadt erfahre.

Hier könnte ein zweistufiges Verfahren heilen, in dem in jeden Fall, in dem vorher unbekannte Kosten entstehen, die Bearbeitung (und die Frist) gestoppt werden, bis der Antragsteller die Kostenübernahme bestätigt. Oder alternativ: Bis eine Widerspruchsfrist abgelaufen ist, innerhalb dieser der Antrag zurückgezogen werden kann.

 

Die beiden vorstehenden Punkte müssen geändert werden, wenn eine Informationsfreiheitssatzung nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten soll.

Des weiteren haben ich noch folgende Nachfragen, Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge:

i ) Im Antrag heißt es:

“Die Stadt stellt auf Antrag Kopien der Informationsträger, die die begehrten Informationen enthalten, auch durch Versendung zur Verfügung. Dies gilt nicht für den Zugang zu Informationen gemäß § 1 Abs. 1 S. 2.“

Damit werden die in städtischen Besitz befindlichen Unternehmen ausgeschlossen. Der Sinn dieses Ausschlusses erschließt sich mir schlussendlich nicht. Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch? Bitte um Hilfe!

 

ii) Der Antrag sieht nur vor, eine Fristverlängerung für besonders komplexe Anfragen zu gewähren. Ich würde vorschlagen, dieses auch für besonderen Belastung aufgrund von a) Urlaubszeiten und b) ungewöhnlichen Krankheitssituationen zu gewähren.

Zu a) Viele Mitarbeiter sind darauf angewiesen, ihren Urlaub innerhalb der Schulferien zu nehmen, die im Sommer sogar länger dauern, als der Verwaltung als Bearbeitungsfrist eingeräumt wird. In solchen Zeiten ist die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Mitarbeiter traditionell höher und kann oft nur durch ein zusätzliches Engagement der Mitarbeiter aufgefangen werden. Die vorgeschlagene Satzung kann nun dazu führen, dass die Verwaltung Urlaubsanträge in dieser Zeit nicht genehmigt, weil ja evtl. Informationsabfragen hereinkommen könnten, die sonst nicht bearbeitet werden könnten.

Das könnte also dazu führen, dass für Familien unnötige Härten entstehen, nur weil Ressourcen für den Eventualfall vorgehalten werden müssen.

Zu b) Bestimme Krankenstände (zum Beispiel bei Grippewellen) dauern oft 2-4 Wochen und sind nicht vermeidbar, planbar und sollten auch keine Verwaltungs– oder Demokratiekrise herbeiführen. Eine Ausnahmeregelung würde flexibler machen und so helfen, ohne die Bearbeitungszeit im Regelfall zu verlängern.

 

iii) Die Fristsetzung die in Antrag mit „innerhalb von einem Monat“ angegeben ist, ist für mich ungewöhnlich. Denn „ein Monat“ kann sehr unterschiedlich lang sein. Während ein typischer Januar 31 Tage dauert, sind manche Februare nur 28 Tage lang. So ein richtig fieser Dezember kommt zwar immer auf 31 Tage, aber gearbeitet wird an gerade mal 19 Tagen.

Im Projektmanagement hat sich daher bewährt, Fristen nicht in Kalendermonaten, sondern immer in Arbeitstagen anzugeben, von denen so ein durchschnittlicher Monat bevorzugt 21 hat.

Gleiches gilt natürlich für die anderen im Antrag genannten Fristen.

 

iv) Im Antrag heißt es:

Der Antrag kann schriftlich oder in elektronischer Form gestellt werden.

Man schimpfe mich einen Sophisten, aber

a) Eine kann-Vorschrift macht hier keinen Sinn, es muss entweder „kann nur“ oder „muss“ heißen

b) alle sinnvollen elektronischen Formen der Antragstellung sind gleichzeitig schriftlich. Auch eine E-Mail oder ein Web-Formular sind „schriftlich“. Nicht-schriftliche elektronische Formen der Antragstellung wären als Audio- oder Video-Dateien denkbar. Eventuell auch als Hologramme oder sogar über Avatare. Ich glaube aber nicht, dass das hier ermöglicht werden soll.

Gemeint ist vermutlich die Unterscheidung zwischen analog und digital. Vorschlag:

Der Antrag kann schriftlich in Papierform oder in elektronischer Form gestellt werden.

Oder so ähnlich.

v) Eine Sache, die mich (ganz generell) noch plagt, ist das Kosten, die mit der Informationsbeschaffung verbunden sind, immer ausschließen. Wenn aber Informationen notwendig sind, um demokratische Rechte wahrnehmen zu können (Argument: „Bürgerbeteiligung“), dann kann auch schon die (wirklich gemäßigte) Darmstädter Gebührenordnung ein Grund sein, demokratische Rechte nicht wahrnehmen zu können. Ich kenne Menschen, für die auch schon eine Gebühr von 100 Euro ein Grund wäre, die Möglichkeiten einer Informationsfreiheitssatzung nicht zu nutzen.

Andererseits ist es natürlich richtig, die BürgerInnen an den von ihnen verursachten Kosten angemessen zu beteiligen. Um so mehr, da eine solche Satzung natürlich auch genutzt werden kann und darf, um ganz profane und eigennützige Interessen zu verfolgen.

Deshalb sind ist dieser Punkt keinesfalls ein Argument gegen eine solche Satzung. Aber wer nach größtmöglicher demokratischer Beteiligung strebt, der kann damit nicht zufrieden sein. Ich habe da (noch) keine Patentlösung. Vorschläge dazu sind (z.B. als Kommentar) willkommen.

 

Zusammengefasst: Der Piratenantrag ist zwar gut gemeint gewesen, aber nicht gut gemacht. Wenn die anderen Gruppe den Piraten das Thema im Kommunalwahlkampf jedoch nicht einfach überlassen wollen, sollten sie jetzt auf diese zugehen und eine gemeinsam tragbare Satzung verhandeln. Das sollte in zwei Stunden machbar sein. So komplex ist das Thema nun wirklich nicht – und angesichts der zahlreichen Vorlagen auf Bundes- und Ländersebene auch kein Neuland mehr. Dann wäre die Arbeit erledigt, Standards gesetzt, die BürgerInnen ermächtigt und das Thema vom Tisch. Statt uns im Kommunalwahlkampf zu verfolgen.

 

Siehe auch:

Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt

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